Wissenschaftliche Arbeit (zurück)

Ein bemaltes, zerknülltes Textilfragment aus dem Ägyptischen Museum Berlin

I.Waltriny: „Ein bemaltes, zerknülltes Textilobjekt aus dem Ägyptischen Museum Berlin“ in: Restauro, Fachzeitschrift für Kunsttechniken, Restaurierung und Museumsfragen; Juli/ August 2003 (Nr. 5)

Die Diplomarbeit hat die Konservierung und Restaurierung mehrerer Fragmente eines bemalten, römisch-ägyptischen Mumientuches zum Inhalt. Die Fragmente waren zerknüllt, sie lagen ohne Inventar-nummer und Hinweise auf Befund, Herkunft und Gattung vor. Es war zu Beginn nicht zu erkennen, ob es sich um bemalte Mumienbinden, um Fragmente eines Mumientuches oder gar um verschiedene Textilstücke handelte, die aus diversen Fundresten zufällig zusammengeknüllt wurden (Abb. 1).

zerknüllter Vorzustand der Fragmente
Abb.1:
zerknüllter Vorzustand der Fragmente

Die im Zentrum der Arbeit stehende, konkrete Restaurierung des Objekts schließt die Schaffung eines Präzedenzfalles nicht aus, vom Einzelfall paradigmatisch abgeleitete, generalisierende Methoden zur Konservierung archäologischer, bemalter Textilien mit stark abgebauten Fasern zu finden. Diese Aufgabe ist umso dringlicher, als die Magazine Ägyptischer Museen gefüllt sind mit scheinbar bedeutungslosen, dem schleichenden Verfall preisgegebenen Textilfunden.
Das kulturgeschichtliche Interesse an Ägypten reicht Jahrhunderte zurück, es beförderte aber nicht nur die historischen Einblicke in die Kultur- und Sittengeschichte der alten Ägypter, es implizierte auch die Zerstörung eines Großteils ihres kulturellen Erbes. Helmut Seemann bezeichnet dies als „Dialektik der Archäologie“, derzufolge eine „Ausgrabung auch stets eine Vernichtung“ ist und „Erkenntnis immer mit dem partiellen Verlust von Erkenntnis erkauft wird.“1 Lange Zeit wurden ägyptische Mumien aus Interesse an Grabbeigaben wie Amuletten und Schmuckstücken wahllos ausgewickelt.2 Der als fahrlässig zu bezeichnende Umgang mit dem Kulturschatz der Mumien war weniger wissenschaftlich denn vielmehr pekuniär motiviert. Die Jagd nach Pretiosen erklärt, daß in den Museen textile Überreste hastig ausgewickelter Mumien lagern, deren historischer Kontext sich schwer erschließen läßt.3 Gerade weil die ägyptologische Forschung ein breites Spektrum an Erkenntnissen über die Hochkultur Ägyptens eröffnet hat, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit solchen, aus ihrem Bezugszusammenhang extrahierten Findelkindern ohne Inventarnummer und Befundanamnese? In ihrem fragilen Ist-Zustand wirken sie unspektakulär und scheinen keinem wissenschaftlichen Erkennt-nisinteresse mehr dienlich zu sein. Aus diesem Grund wurden derartige Fragmente bislang oft ignoriert und fanden auch in der Restaurierung kaum Beachtung. Dabei wird übersehen, daß jedes der Objekte als Teil eines Ganzen zu verstehen ist, als Puzzlestein eines Bildes, das durch den sorglosen Umgang mit Fundstücken zu einer Zeit, da die ägyptologische Forschung noch in den Kinderschuhen steckte, bis heute stark verzerrt ist und noch immer viele Rätsel aufgibt.
Anhand des hier vorliegenden, zerknüllten und bemalten Textils kann verdeutlicht werden, daß die Res-taurierung und Konservierung solcher Fragmente nicht nur eine conditio sine qua non für die Präzisie-rung ihrer eigenen historischen und funktionalen Interpretation ist, sondern auch den möglichen Transmissionsriehmen zum Kontext des Objektes herstellen können, dessen sie verlustig gegangen sind.

1 Materialanalysen [-] 1 Materialanalysen [+]

Das Material des Gewebes ist Leinen. Die Flachs-, respektive Leinenfasern sind als Einfachgarne in S- Drehung gesponnen und das Gewebe ist in Leinenbindung gewebt. Im linken, unteren Bereich des zerknüllten Textils waren feinere, in schußbetonter Leinenbindung gewebte Stücke zu finden (Abb. 2-3), die Anlaß zu der Vermutung gaben, es handle sich um verschiedene Fundstücke. Nach der Entfaltung wurde offenbar, daß diese Leinenstücke noch vor der Bemalung auf das Mumientuch geklebt worden waren, vermutlich um Fehlstellen auszubessern.

Leinenbindung
Abb: 2:
Unterschied zwischen normaler Leinenbindung (a) und schußbestimmter Leinenbindung (b)

Fragment Schema Abb.3: Im linken, unteren Bereich des Objektes sind in Sektor 3 deutlich Einzelteile eines andersartigen Gewebes zu erkennen. Die Schußfäden sind so dicht aneinander geschoben, daß die Kette kaum zu sehen ist. Bei dieser Bindung wird von schußbestimmter Leinenbindung oder weft-faced tabby gesprochen. In Abb.2 ist schematisch dargestellt, wie sich diese feinere und dichtere Webart (2a) von ihrer Umgebung (2b) unterscheidet.
Das Gewebe ist einseitig grundiert und bemalt. Die Grundierung besteht aus Gips und Stärkekleister und ist überall zwischen den Bindungspunkten des Gewebes nachweisbar (Abb. 4). Auf der Grundierung befindet sich eine Temperamalerei, in der Stärke und Proteine nachgewiesen werden konnten, was nicht ausschließt, daß noch andere, in Ägypten gebräuchliche Bindemittel, wie Gummi Arabicum oder Honig Bestandteil der Tempera waren. Für die Tempera wurden zwei verschiedene Rotpigmente, ein Schwarzpigment und ein Grünpigment verwandt (Abb. 5). Die beiden Rotpigmente konnten als das eisenhaltige Erdpigment Rotocker und als helleres Orangerot, bei dem es sich um Bleimennige handelt, identifiziert werden Abb. 6). Wenn den Ägyptern in vorrömischer Zeit die gelbe Bleiglätte bekannt war4, müssen sie auch die rote Bleimennige gekannt haben, denn Bleiglätte entsteht (z.B. bei der Silberver-hüttung) durch Weitererhitzen der roten Bleimennige.5 Trotzdem ist die Verwendung von roter Bleimen-nige als Malpigment erst seit römischer Zeit nachgewiesen, was die Datierung der Fragmente in die römische Zeit unterstreicht. Die grüne Bemalung ist ausschließlich in den Perlen des Osirisnetzes vor-handen. Diese Perlen sind aber stets in Blau, der Farbe des Himmels gehalten.6 Auf einen Kupfer-nachweis zur Bestätigung für ein ursprünglich verwandtes Blaupigment wurde verzichtet.

Abb4: weiße Grundierung; teilweise nur zwischen den Bindungspunkten sichtbar Abb5: graugrüne und schwarze Bemalung Abb6: hellrote Bemalung mit Bleimennige
Abb.4: weiße Grundierung; teilweise nur zwischen den Bindungspunkten sichtbar
Abb.5: graugrüne und schwarze Bemalung
Abb.6: hellrote Bemalung mit Bleimennige

2 Objektanamnese [-] 2 Objektanamnese [+]

2.1 Das Gewebe

Der Gesamteindruck wird vom zerknüllten Gewebe mit seinen unübersehbar vielen Falten und langen Fadenenden geprägt (Abb. 1). Untersuchungen am Durchlicht- und Rasterelektronenmikroskop zufolge befinden sich die Fasern in einem recht guten Erhaltungszustand. Neben einer leichten Fibrillierung an den Faseroberflächen sind wenige Längs- und Querbrüche an den Fasern sichtbar. Ihr phänotypisch intaktes Erscheinungsbild kann jedoch täuschen. Eine Bewegung des Gewebes im trockenen Zustand ist immer mit Substanzverlust verbunden, die oxydierten Fasern brechen heraus und finden sich in Form mikroskopisch kleinster Partikel neben und unter dem Gewebe wieder. Vereinzelt sind im Gewebe Fraßspuren eines Schädlings auszumachen (vergl. Abb. 3). In der Regel stammen derartige Fraßspuren nicht von Textilschädlingen, sondern von Insekten, die sich, um zu ihrem Futterplatz im Inneren der Mumie vorzustoßen, durch die Mumienumhüllung gefressen haben. Die umwickelten Mumien blieben vor der Beisetzung noch einige Zeit im Bestattungshaus liegen, wo sie dem Befall durch Käfer und Insekten ausgesetzt waren.7

2.2 Grundierung und Malschicht

Anders als der relativ gute Erhaltungsstatus des Gewebes ist derjenige von Grundierung und Mal-schicht zu beurteilen. Grundierung und Malschicht lassen sich stellenweise nur unter dem Mikroskop nachweisen oder sind in Form von einzelnen Schollen und Schollenverbänden erhalten, die über keine nennenswerte Haftung zum Trägergewebe verfügen. Als Hauptursache für diesen fragmentarischen Erhaltungszustand ist der Prozess des Zerknüllens anzunehmen, bei dem sich die steife Gipsgrundie-rung der Bewegung des flexiblen Gewebes nicht anpassen konnte. Die natürliche Degradation des Bindemittels trug ihr übriges zum Substanzverlust der Malschicht bei. Partiell fallen direkt auf der Gewebeoberfläche kleinste, puderige Malschichtpartikel auf. Es ist daher anzunehmen, dass der fragmentarische Zustand der Malschicht in Interdependenz zu und in chemisch-physikalischer Interaktion mit dem Abbau der weißen Grundierung steht. Um die Wasserlöslichkeit der Malschicht zu testen, wurde ein angefeuchtetes Stück Filterpapier an einer wenig aussagekräftigen Stelle aufgedrückt. Es verfärbte sich sofort. Das Ergebnis verifiziert die Annahme, dass die Pigmente innerhalb der Malschicht aufgrund des Bindemittelabbaus schwach miteinander verbunden sind.

3 Mumiendekoration oder Verfüllmaterial? [-] 3 Mumiendekoration oder Verfüllmaterial? [+]

Vor der Restaurierung betrugen die Objektmaße ca. 21,5 cm in der Breite, 20 cm in der Länge und 1,6 cm in der Höhe. Das kleine Textilhäufchen bot Anlass für viele Spekulationen. Einige Indizien, wie dreifache Schußeinträge, die den Anfang oder Abschluss eines Gewebes signalisieren und an etlichen Mumientüchern zu finden sind, sprachen für ein Mumientuch. Ebenso ein Stück Rollsaum, der mit einem doppelten Nähfaden im Überwendlichstich umnäht ist. Mit einem solchen Abschlußsaum wurden die Ränder von ägyptischen Kleidungsstücken als auch die von Mumientüchern versäubert.8 Trotz dieser Hinweise kam der Verdacht auf, daß es sich möglicherweise um Verfüllmaterial handeln könnte. Die leeren Körperhöhlen der Mumien wurden u.a. mit zerknüllten Leinenstreifen ausgepolstert, um den Körper zu stabilisieren, oder die Leinenstreifen wurden zwischen den Bindenwicklungen platziert, um signifikante Merkmale wie Brust oder Schultern plastisch hervorzuheben.9 Würde es sich um eine gewollte Faltung handeln, muß geprüft werden, ob die Entfaltung im Sinne einer Restaurierung überhaupt vertretbar ist, denn nach restaurierungsethischen Gesichtspunkten gilt es, den ursprünglichen und intendierten Zustand zu erhalten. Die Bedenken zerstreuten sich schnell. Zum einen weist das Gewebe keine dunklen Verharzungen durch Einbalsamierungsmaterialien auf; zum anderen waren zerknüllte Leinenstreifen, die bislang in Mumien- und Mumienwicklungen gefunden wurden, weder grundiert noch bemalt.6 Wichtigstes Indiz dafür, daß der zerknüllte Zustand nicht dem ursprünglichen entsprach, sind rezente Wattebäusche, die sich überall zwischen den Falten des Textils befanden. Das weiße Erscheinungsbild der reinen Baumwollwatte zeugt von einer chemischen Vorbehandlung, weshalb antike Baumwolle auszuschließen ist. Die Watte muß also nach der Fundbergung und noch vor dem Zerknüllen zwischen die Fragmente gelangt sein.
Während der Entfaltung wurden die Wattebäusche sukzessive entnommen. Im Konglomerat mit der Watte befanden sich Stroh, Hechselwerg (Flachs), Holzspäne, Hadernpapier, sowie lose Fäden vom Gewebe. Dieser Befund läßt die Vermutung zu, daß die Mumientuchfragmente aus einer Papyrusgrabung von 1908 in Abusir el Meleq stammen.6 Auf dieser Grabungskampagne wurde hauptsächlich nach stuckierten Mumienhüllen aus Papyruskartonagen gesucht, um nach dem Auflösen der Kartonagen die Papyri lesen zu können. Vermutlich fand das zerfetzte Mumientuch seine Zweitverwendung darin, zusammen mit rezentem Verpackungsmaterial die interessanteren Fundobjekte für den Transport zu polstern.

4 Gründe zur Rechtfertigung der restauratorischen Maßnahmen [-] 4 Gründe zur Rechtfertigung der restauratorischen Maßnahmen [+]

Die Tatsache, daß die Mumientuchfragmente ihre, dem primären, ursprünglichen Zweck entfremdete Sekundärverwendung als Verpackungsmaterial und nicht zur Verfüllung oder plastischen Formgebung einer Mumie fanden, ist nicht allein Legitimation für die Entfaltung und Restaurierung.
Durch die dreidimensionale Verfaltung ist das Gewebe extrem belastet. Cellulosefasern bauen sich vom Lumen her ab. Es ist nunmehr die äußere Hülle, die den intakten Zustand vortäuscht. Aufgrund ihrer Kristallinität und somit fehlenden Flexibilität brechen Faserpartikel nicht nur bei exogener Bewegung heraus. Der progredierende Substanzverlust von Grundierung und Malschicht ist unter konservatorischen Aspekten ebenfalls nicht zu verantworten. Daß die desolate Malschicht unbedingt gesichert werden muß, zeigen die Abb. 4-6.
Fazit ist, die Mumientuchfragmente hätten in ihrem zerknüllten Zustand nicht zerstörungsfrei aufbewahrt werden können. Hinzu kommt, dass sich die Fragmente im nicht entfalteten Zustand ihrer wissenschaftlichen Beurteilung und kulturhistorischen Zuordnung entziehen.

5 Restauratorische und konservatorische Maßnahmen [-] 5 Restauratorische und konservatorische Maßnahmen [+]

5.1 Befeuchtung und Entfaltung

In erster Linie gilt es, das Objekt zerstörungsfrei zu entfalten. Nur im entfalteten Zustand kann es gesichert und wissenschaftlich bearbeitet werden. Um das Gewebe weich und flexibel zu machen, muß es befeuchtet werden, wobei fraglos nur eine Befeuchtung über die kontrollierte Erhöhung der Luftfeuchtigkeit in Frage kam. Es sind aber komplizierte Vorgänge, die sich in einer trockenen, gealterten Cellulosefaser bei der Aufnahme von Wassermolekülen abspielen. Feuchtigkeit versetzt Cellulose in einen energetisch stabileren Zustand, weshalb die amorphen Bereiche der Cellulosefaser besonders aufnahmefreudig für Wassermoleküle sind. Normaler Weise erfolgt die adsorbtive Bindung der Wassermoleküle intermizellar, die Wassermoleküle lagern sich in den amorphen Bereichen an den Mizellen an, so daß diese ihren inneren Zusammenhalt nicht verlieren. In gealterten Cellulosefasern bieten sich dem Quellmittel Möglichkeiten, auch in die Mizellen einzudringen (intramizellare Quellung), so die Hauptvalenzketten zu solvatisieren und dadurch den intramizellaren Zusammenhang in einem höheren Maße aufzulockern als im Falle einer bloßen intermizellaren Quellung. Eine Desorientierung der Mizellen kann vor allem dann eintreten, wenn das Quellmittel besonders kräftig in die intermizellaren Hohlräume eintritt.10 Eine zu schnelle oder sprunghafte Wassermolekülaufnahme kann somit zur irreversiblen Veränderung der Faserstruktur bis hin zum Riß der Faser führen.
Wie läßt sich die zu schnelle Erhöhung der rF und die damit verbundene Quellung definieren? Führen wir uns vor Augen, daß einige Bereiche besonders quellfreudig sind. Wird ihnen all die Feuchtigkeit, die sie binden wollen, ad hoc zugeführt, tritt die eben beschriebene Wirkung der intramizellaren Quellung ein. Das kann vermieden werden, indem die Zuführung der Feuchte gedrosselt, also die rF langsam und kontinuierlich gesteigert wird. Hier stellt sich die Frage nach einem idealen Befeuchtungssystem.
Zur schonenden Entfaltung archäologischer Textilien ist eine langsame und geregelte Befeuchtung von Nöten. Bei der Befeuchtung extrem trockener, ägyptischer Textilien sollte der maximale Wert der rF erst nach zwei bis drei Tagen erreicht werden.11 Eine elektronisch gesteuerte Klimakammer stand nicht zur Verfügung und bei anderen bekannten Befeuchtungsmethoden, die auf dem Prinzip der Wasserdampfdiffusion durch Feststoffe basieren, werden Höchstwerte von 90% Luftfeuchtigkeit schon nach wenigen Stunden erreicht. Einzig der maximal erreichbare Wert der rF ist bekannt, die Befeuchtung selbst verläuft unkontrolliert. Ein weiteres Manko bei der Anwendung der Methode der Wasserdampf-Diffusion durch Feststoffe ist, daß bei jeder Diffusion Wassermoleküle unregelmäßig aus der Oberfläche der porösen Zwischenlage treten. Die dabei auftretenden Strömungswiederstände behindern eine gleichmäßige Verteilung aller Moleküle im Raum, eine ungleichmäßige Durchfeuchtung ist absehbar. Zwar verteilen sich nach Dalton alle Moleküle eines Gasgemisches bei unveränderlichem Gesamtraum gleichmäßig, aber erst dann, wenn die Diffusionsvorgänge beendet sind, wenn das Druckgefälle zwischen Ober- und Unterboden ausgeglichen und der eigentliche Befeuchtungsvorgang abgeschlossen ist.
Wie ist dieses Dilemma zu bewältigen? Mit Salz kam die Lösung, ergo die Salzlösung. Gesättigte Salzlösungen werden etwa zur Klimaregulierung in Museumsvitrinen eingesetzt. Christoph Waller beschreibt dieses Verfahren wie folgt: „Grundlage (...) ist die Eigenschaft gesättigter Salzlösungen, also Salzlösungen mit einem Bodensatz von ungelöstem Salz, oberhalb der Wasseroberfläche eine genau definierte konstante relative Feuchte zu erzeugen. Die rF ist dabei so gut wie unabhängig von der Temperatur (...).“12 Diese Methode funktioniert nur in einem abgeschlossenen System. Dafür kann beispielsweise ein einfacher Kasten aus Polypropylenplatten mit abnehmbaren Deckel und integrierter Schublade hergestellt werden.13 In der Schublade wird die Salzlösung in einer möglichst flachen Schale untergebracht (Abb. 6). Es empfiehlt sich, etwaige Hohlräume in den Anschlußstellen zwischen Schublade und Kammerwand, sowie zwischen Deckplatte und Kammer mit Silikon aufzufüllen. Deckplatte und Schublade müssen dicht schließen. Oberhalb der Schublade wird horizontal ein steifes Gitter aus Kunststoff oder eloxiertem Aluminium installiert und auf diesem ein feinmaschiges Netz (Nylon- oder Seidengaze) als Objektunterlage aufgelegt. Die Gitter-Kombination gewährleistet eine gleichmäßige Durchfeuchtung, da die Wassermoleküle direkt in und durch das Objekt wandern können.


Abb.7:
physikalisch gesteuerte Klimakammer

Die Fragmente wurden vor ihrer Befeuchtung bei einer rF von 40 % deponiert. Für die Befeuchtung mußte deshalb in der Klimakammer zuerst ein Wert von 40 % rF eingestellt werden. Diese Feuchte wird bei 20 °C mit Hilfe von Natriumiodid, Zinknitrat oder Kaliumcarbonat erreicht. Aufgrund von Unwägbarkeiten bei den Reaktionen von Natriumiodid (giftig) und Zinknitrat (Nitritbildung) fiel die Wahl auf das unbedenkliche Kaliumcarbonat. Für die Befeuchtung wird eine Erhöhung der relativen Feuchte auf 90% innerhalb von drei Tagen angestrebt. Empirisch wurde ermittelt, daß in Abhängigkeit zum Kammphysikalisch gesteuerte Klimakammerervolumen von 93,74 Litern bei 20 °C Raumtemperatur jeweils zwei Salzlösungen á 50 g ausreichend waren, um die rF innerhalb von 78 h auf 90% zu erhöhen – Natriumchlorid synthetisiert eine Luftfeuchtigkeit von 75% und Bariumchlorid von 90%.
Aus der Vielzahl der Salze, die alle eine definierte Feuchte einstellen, ergibt sich für jede gewünschte relative Feuchte eine Lösung. Eine ausführliche Beschreibung der Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten von Salzlösungen bietet im Internet Christoph Waller unter www.CWaller.de/teil2.4.htm. Auf dieser Seite befindet sich ein Link auf eine von Frau Andrea Glatthor erstellte, tabellarische Übersicht zur Herstellung definierter Klimabedingungen mittels gesättigter Salzlösungen, welche auch direkt unter www.svbuc.de/drh/luftfeuchte-tab03.html eingesehen werden kann.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass die unter dem „Guttenberg- Syndrom“ leidenden PlagiatistINNEN diese erweiterte Anwendung der regulierten Be- und Entfeuchtung nicht nur als ihre eigene Denke veröffentlicht, sondern auch einen (auf der angegebenen Internetseite bereits nicht mehr vorhandenen) Beitrag uneingeschränkt übernommen haben, in welchem diskutiert wurde, ob sich Salzkristalle eventuell verwirbeln und sich schädigend auf das Objekt auswirken könnten.
Diese Bedenken sind rein physikalisch komplett auszuschließen! Dafür müsste im Innenklima eine Umluft erzeugt werden, etwa wie an der Nordsee; selbst große Temperatur- und Druckveränderungen können keine Umluft hervor bringen, die imstande wäre, gelöste Salzkristalle im Dampf über das Gitter und auf das Objekt zu befördern.

Ein Mumientuchfragment nach der Entfaltung;
Abb.8:
Ein Mumientuchfragment nach der Entfaltung;
links der Rollsaum

Die Entfaltung erfolgte bei 90% Luftfeuchtigkeit. Vor der Befeuchtung wurde die Effizienz einer prophylaktischen Malschichtsicherung geprüft, da die Gefahr bestand, daß sich während der Entfaltung Partikel und Malschichtschollen vom Träger lösen. Vorversuche an Dummies haben gezeigt, daß sich eine durchfeuchtete Malschicht wesentlich flexibler verhält als im trockenen Zustand. Darüberhinaus verhindert die durch Befeuchtung ausgelöste Reaktivierung klebender Substanzen wie die des Bindemittels ein Ablösen der Malschichtschollen. Eine temporäre Festigung mit Cyclododekan oder eine partielle, sukszessive Festigung der Malschicht mit dem Pinsel erwiesen sich hingegen als kontraproduktiv. Wird das Cyclododekanspray aus einer größeren Entfernung als 5 cm appliziert, treffen die Kristalle in Form losen Pulvers auf, das auf der Oberfläche nicht haften bleibt und weggepustet werden kann. Bei einem Sprühabstand unter 5 cm bleiben die Kristalle zwar haften, der Sprühdruck ist aber so stark, daß Pigmentpartikel und Schollen weggesprayed werden und sich das Cyclododekan mit den Pigmentpartikeln vermischt, was impliziert, daß die Maßnahme nicht zur Sicherung matter, pudriger Farbschichten geeignet ist. Auch zur Konsolidierung flexibler Trägermaterialien erweist sich Cyclododecan als nicht probat. Bei Bewegung des Textils, etwa bei der Entfaltung, bilden sich sofort Schollen, die sich leicht vom Träger lösen und dadurch das Abplatzen einer desolaten Malschicht begünstigen. Als prophylaktische Maßnahme wurden vorsichtig kleine Styroporkugeln zwischen die Falten geschoben, um eine bessere Durchfeuchtung zu gewährleisten und um zu verhindern, daß bemalte Bereiche aneinander kleben.
Nach der Entfaltung traten zwölf Fragmente zu Tage, die allesamt von ein und demselben Mumientuch stammen. Darunter drei Randstücke mit dem bereits erwähnten Rollsaum und den Geweberippen, die sich im Abstand von ca. 4 cm zum Rollsaum befinden. Um die Fragmente ohne sie zu pressen, in eine Ebene zu bringen, wurden partiell Objektträger und kleine Gewichte aufgelegt. Eine Zwischentrocknung kam für die anschließende Malschichtkonsolidierung nicht in Betracht. Zum einen vermindern Trocknungsprozesse die Wasseraufnahmefähigkeit (Quellung) der Fasern, da die amorphen Bereiche der Cellulose teilweise vernetzen, zum anderen verdrängt Feuchtigkeit die Luft aus den Poren der Materialien, weshalb das Konsolidierungsmittel leichter und tiefer eindringen kann. Die relative Luftfeuchte wurde für die anschließende Malschichtkonsolidierung mittels Natriumchlorid auf ca. 80% gesenkt.

5.2 Konsolidierung der Malschicht

Auswahlkriterien für das Konsolidierungsmittel sind Reversibilität, hohe Klebkraft, Flexibilität, Farbstabilität, Alterungsresistenz und geeignete Verarbeitungseigenschaften. Bei jeder Malschichtkonsolidierung dringt das Konsolidierungsmittel auch unweigerlich in das Trägermaterial ein. Dürfen wir deshalb vernachlässigen, was der eingebrachte Klebstoff in und zwischen den Fasern evoziert? Nein. Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Konsolidierungsmittels ist neben den genannten auch, wie es die Fasern umschließt. Verkleisterungen zwischen Fasern führen nicht nur zur Reibung an den Faseroberflächen, wodurch die Faser früher oder später zerstört wird, sie versteifen darüberhinaus das Gewebe. Ein wichtiger Aspekt der Restaurierungstechnik ist die Reversibilität eingebrachter Konsolidierungsmittel, wobei konstatiert werden muß, daß aus den porösen Strukturen abgebauter Cellulosefasern kein Klebstoff komplett entfernt werden kann, ohne die Fasern nachhaltig zu schädigen. Es gilt darum, ein Konsolidierungsmittel zu finden, das die matte Malschicht konsolidiert, ohne substanziellen Schwund oder katalytische Reaktionen in und zwischen den Fasern zu provozieren, welche die natürliche Alterung beschleunigen.
Zur Konsolidierung ägyptischer Pigmente auf textilen Trägern kommen traditionell Paraloid B 72 und Celluloseether zum Einsatz, weshalb ungebleichte Leinendummies darin getränkt und anschließend unter dem Rasterelektronenmikroskop analysiert wurden. Die Testreihe wurde mit Hausenblase, nativer Weizenstärke und dem Hydroxyethylstärkeether (HES) Kollotex 1250 komplettiert. Im Ergebnis zeigte sich, daß Paraloid B 72 massive Verklumpungen zwischen den Fasern hervorruft, der Hydroxypropylcelluloseether (HPC) Klucel GF die Fasern verkleistert, während native Weizenstärke eine geringe Verkleisterung ausbildet. Hausenblasenleim und der HES Kollotex 1250 überzeugten dahingehend, daß sich dem Augenschein nach überhaupt kein Leim, bzw. Kleister zwischen den Fasern manifestierte. Hausenblasenleim kam für die Anwendung im konkreten Fall nicht in Betracht. Damit Hausenblasenleim tief genug in die Malschicht eindringen kann und keinen Film auf der Oberfläche bildet, muß er im erhitzten Zustand appliziert werden. Temperaturen von über 30 °C führen nachweislich in Wechselwirkung mit Feuchtigkeit zur partiellen Vernetzung der Cellulose und somit zur Verhornung der Flachsfasern.14
In weiteren Testreihen hat sich erwiesen, daß Kollotex 1250, in geringer Konzentration appliziert, den Oberflächencharakter matter, puderiger Malschichten nicht verändert und eine hohe Klebkraft besitzt. Nach der Trocknung wurde die Qualität der Konsolidierung mit einem feinen Haarpinsel überprüft. Es konnte konstatiert werden, daß nicht nur die Haftung einzelner Pigmentteilchen, sondern auch die der Schollen zum Träger wieder hergestellt war. Der Stärkeether Kollotex 1250 wurde zu 2,5 % in deionisiertem Wasser angesetzt und bei einer Temperatur von ca. 90°C kolloidal dispergiert. Besonders hervorzuheben ist seine Eigenschaft, Cellulosefasern sehr gleichmäßig zu umschließen, ohne eine Verkleisterung zwischen den Fasern zu evozieren. Somit können Spannungen und Reibungen zwischen und an den Faseroberflächen vermieden werden. Aufgrund seiner niedrigen Viskosität läßt sich Kollotex 1250 hervorragend vernebeln.

Klebstoffvernebler
Abb.9:
Klebstoffvernebler (Inhalationsgerät) mit Kompressor und Druckluftregler zerknüllter Vorzu-stand der Fragmente

Bei der Applikationsmethode entschied ich mich für das berührungsfreie Aerosolverfahren. Dabei wird der Klebstoff vernebelt und dringt in Form feinster Tröpfchen in die Materialoberfläche ein. Hierzu werden üblicher Weise teure Ultraschallvernebler verwandt. Mittlerweile hat sich erwiesen, daß simple, mit Druckluft betriebene Inhalationsgeräte aus dem medizinischen Fachhandel diesen Zweck ebenso gut und effektiv erfüllen.

Das Gerät wurde an einen Kompressor angeschlossen, um die optimale Druckluftzufuhr experimentell zu bestimmen. Bei einem Luftdruck von 1 bar wurde die kleinste Tröpfchengröße ermittelt, die das Gerät erzeugen kann, sie liegt wie bei der Ultraschallzerstäubung zwischen 1 und 10 m. Im Übrigen bezieht sich die Messung der Tröpfchengröße aller Vernebelungsgeräte immer auf Wasser. Die Partikelgröße eines Klebstoffnebels kann nicht gemessen werden, die hoch sensible Optik der Messgeräte würde sonst verkleben. In jedem Fall ist die Tröpfchengröße eines Klebstoffnebels größer, wiederum in Abhängigkeit von Viskosität, Oberflächenspannung und Dichte des Klebstoffs.15
An einem Dummy wurde die Konsolidierung der Malschicht direkt nach der Befeuchtung und Entfaltung durchgeführt (bei 75 % RF), denn solange die Objektoberfläche feucht ist, kann die Adhäsion des Festigungsmittels zur abpudernden, porösen Malschicht unterstützt werden. In feuchter Atmosphäre dringen Aerosole leichter und tiefer ein, da die Luft aus den Poren schon durch den Wasserdampf verdrängt wurde. Der ausgewählte Klebstoff wurde in Konzentrationen von 2%, 3% und 4% vernebelt. Dabei wurde festgestellt, daß eine 3%ige Klebstofflösung ausreichend ist, um nicht nur die abpudernde Malschicht, sondern großteils auch die Bindung der Malschichtschollen zum Träger zu festigen.
Bei der Ultraschallvernebelung muß der Klebstoffnebel erst durch einen langen Schlauch geleitet werden. Dabei formieren sich die kleinen zu größeren Tröpfchen, vor allem bei Klebstoffen mit niedriger Oberflächenspannung. Wird die Klebstofflösung erwärmt, sinkt auch die Oberflächenspannung der Tröpfchen, die sich infolge dessen zu großen Tropfen vereinigen. Im schlimmsten Fall kommt der Nebeltransport zum Erliegen. Das mit Druckluft betriebene Inhalationsgerät hat diese Einschränkungen nicht. Die Klebstofflösung ist im Handstück untergebracht. Der Nebel tritt also direkt dort aus, wo er entsteht. Aus diesem Grund können auch höher konzentrierte Lösungen als bei der Ultraschallmethode vernebelt werden (vgl. Grantham S.: „Japanische bemalte Papierwände“; RESTAURO 1/2002).

5.3 Sicherung der Mumientuchfragmente

Ebenso relevant wie die Restaurierung selbst ist die Etablierung einer stabilen Lagerungsmöglichkeit im Sinne der passiven Konservierung. Um die Mumientuchfragmente vor erneutem Verfall und fortschreitender Degradation zu schützen, müssen sie weitgehend vor schädigenden Umwelteinflüssen isoliert werden. Die Fragmente sind als Teil eines Ganzen zu verstehen, deshalb muß ihre Zuordnung jeder Zeit gewährleistet sein. Es gilt die Naturbelassenheit zu erhalten, um sie später in äquivalente Stücke integrieren zu können.
Zur stabilen Sicherung der Fragmente wurde eine Klappschachtel mit integrierter Passepartoutkombination aus ungepuffertem Baumwoll- und Museumskarton angefertigt. Diese Sicherungsmethode kommt ohne Hinterklebung oder Nähtechniken aus. Damit die Fragmente weder verrutschen, noch Druck ausgesetzt werden, muß das Passepartout exakt zugeschnitten sein und dieselbe Höhe besitzen wie die darin zu lagernden Textilstücke. Um zu verhindern, daß die Fragmente in sich verrutschen, wurden zwischen die fragilen Bereiche paßgenaue Stücke aus demselben Karton geklebt. Auf dem Passepartout befindet sich eine Wabenplatte, in die zur Rahmung der Fragmente rechteckige Felder geschnitten sind.
Die ausgeschnittenen Negative fungieren als steckbare Deckel. Somit sind die Fragmente rundum geschützt, können transportiert, aufbewahrt, einzeln betrachtet und problemlos entnommen werden (Abb. 10-11). Die Herstellung der Klappbox, sowie das Ausstanzen der rechteckigen Felder des äußeren Passepartouts wurde von der Firma KLUG- CONSERVATION realisiert. Lediglich das innere Passepartout mußte individuell und fadengenau ausgesägt werden. Der Aufwand dieses Arbeitsschritts ist bei einer Kartonstärke von 5mm nicht unerheblich, aber er lohnt sich.

Passepartout Passepartout
Abb. 10-11: Passepartout

6 Rekonstruktion der Fragmente [-] 6 Rekonstruktion der Fragmente [+]

Um die Zuordnung zu erleichtern, wurde für jedes Fragment ein Rekonstruktionsversuch vorgenommen. Wie in der Gesamtrekonstruktionszeichnung zu sehen, passen drei Fragmente aneinander (Abb. 12). Erkennbar ist beispielsweise eine rechte Hand, die vermutlich eine Geißel hält. Die Fragmente links davon sind Randstücke, die alle vom linken Rand des Mumientuches stammen. Der Randdekor zeigt ein rotes Kreuzbandmuster mit alternierend angeordneten, schwarzen Punkten. Bei der Darstellung auf dem Fragment links unten handelt es sich um einen ägyptischen Djed-Pfeiler. Zum Vergleich die Rekonstruktionszeichnung eines anderen Mumientuches mit Osirisdarstellung (Abb. 13). Osiris trägt ein Perlennetz, in der rechten Hand hält er eine Geißel und in seiner linken einen Krummstab. Auch auf den Mumientuchfragmenten ist der linke Teil des Osiriskörpers mit Perlennetz deutlich zu erkennen.

Rekonstruktion Rekonstruktion Rekonstruktion
Abb.12:
Rekonstruktion der entfalteten Mumientuchfragmente

7 Identifizierung [-] 7 Identifizierung [+]

Wie läßt sich das Mumientuch einordnen und datieren? Bemalte Mumientücher sind erst aus ptolomäischer Zeit bekannt. Ptolomäische Mumientücher unterscheiden sich in Größe und Stilistik markant von denen aus römischer Zeit. Auf ihnen werden Szenen und Motive in ägyptischem Stil abgebildet, die in geometrische Formen aufgeteilt sind; die dargestellte Osirisfigur trägt eine typisch griechische Haartracht, die Handschrift ist akkurat und streng. Von Mumientüchern aus ptolomäischer Zeit sind weltweit nur wenige Exemplare bekannt.16

Mumientuch
Abb.13:
Mumientuch mit Osirisdarstellung

Die Handschrift der Bemalung auf den Mumientuchfragmenten muß als locker beschrieben werden, sie ist typisch für Mumientücher aus römischer Zeit. Es sind weder Schriftzeichen noch ägyptische Szenen vorhanden, was ebenfalls für die Datierung in die römische Zeit spricht. Zu den Mumiendekorationen in römischer Zeit zählen stuckierte und bemalte Teil- und Ganzkörperkartonagen, naturalistisch gemalte Portraits auf Holz (seltener auf Leinen), die in einer achteckigen Umrahmung in das Rautenmuster der Bindenwicklungen eingebunden sind, und natürlich Mumientücher. Entweder umhüllt die Mumie ein glattes, rotes Tuch, auf dem entweder (Typ a), der Körper des Verstorbenen naturalistisch gemalt ist oder (Typ b) der Verstorbene als Osirisfigur, umgeben von Szenen und Motiven ägyptischer Provenienz, dargestellt wird. Mit dem Osiriskult verbundene Szenen oder Motive treten öfter bei Männer- als bei Frauenmumien auf; Frauen werden häufig ohne mythologische Überhöhung in ihrer alltäglichen Kleidung dargestellt. Bei den Mumientüchern vom Typ a finden sich auch ganzfigurige Darstellungen von Männern in Tunika und Mantel. Zu dieser Kategorie gehören ebenso die dreifigurigen Mumientücher, auf denen der Totengott Anubis dargestellt ist, der den naturalistisch wiedergegebenen Leichnam des Verstorbenen an Osiris übergibt.17
Die Fragmente können klassifikatorisch den Mumientüchern des Typs b zugeordnet werden. Zum einen ist der Verstorbene nicht in seiner Kleidung dargestellt, sondern in eine Perlennetzimitation der typisch ägyptischen Osirisdarstellung gewandet, zum anderen ist auf einem Mumientuchfragment ein Djed-Pfeiler zu sehen, ein Motiv ägyptischen Stils, was Anlaß zur Vermutung gibt, daß es sich um das Mumientuch einer männlichen Person handelt. Wie bereits erwähnt, datiert die nachgewiesene Bleimennige das Objekt in römische Zeit, frühestens jedoch ins 1. Jh. n. Chr.. Letzte Funde bemalter Mumientücher sind aus dem 4. Jh. n. Chr. bekannt.15 Vom 1. bis zum 4. Jh. n. Chr. waren sowohl Typ a als auch Typ B zeitgleich vertreten, wobei die Ikonographie sukzessive verdrängt und stärker zu naturalistischer Portraitierung tendiert wurde.
Eine präzisere Datierung ist also auf Grundlage kunsthistorisch komparativer Parameter ausgeschlossen. Um die Fragmente zweifelsfrei zu identifizieren, müssen die zugehörigen Stücke des Mumientuches gefunden werden, welche mutmaßlich im Ägyptischen Museum Berlin zu suchen sind. Dort befindet sich tatsächlich der obere Teil eines Mumientuches, welches ebenfalls eine nuancierte Bemalung in zwei verschiedenen Rottönen und Schwarz auf weißer Grundierung ziert (Abb. 14).

Mumientuchfragment einer männlichen Mumie
Abb.14:
Mumientuchfragment einer männlichen Mumie, Inv.-Nr. 12427, Ägyptisches Museum Berlin. Die Art und Weise der gezeichneten Nebendarstellungen haben Übereinstimmung mit bemalten Mumientüchern des 2.Jh.n.Chr. aus Theben

Es weißt dieselbe Randdekoration, das rote Zickzackmuster mit schwarzen Punkten auf, auch der Rollsaum im Überwendlichstich ist dort wiederzufinden, ebenso wie die 3 Geweberippen im Abstand von ca. 4 cm zum Rollsaum.18 Dargestellt ist ein männlicher Portraitkopf. Die flüchtige Zeichnung der Figuren und Symbole entspricht dem Malstil der anderen Fragmente. An der linken Oberkörperseite ist der obere Teil des Osiris Herrscherstabs (Krummstab) erkennbar. Auf den von mir bearbeiteten Mumientuchfragment fehlt eben diese Hand mit Krummstab, dafür ist die rechte Hand mit Geißel erhalten. Beide würden sich demnach (rechts Krummstab, links Geißel) ergänzen. Der Modus der gezeichneten Nebendarstellungen auf dem Mumientuch stimmt mit dem bemalter Mumientücher des 2. Jh. n. Chr. aus Theben überein.19 Kann verifiziert werden, daß die Mumientuchfragmente zu diesem Mumientuch gehören, wären sie genau klassifiziert.

8 Zitierte Literatur [-] 8 Zitierte Literatur [+]
  • Klaus Parlasca/ Helmut Seemann, Augenblicke. Mumienportraits und Ägyptische Grabkunst aus römischer Zeit, München 1999, S. 11-23
  • Ange- Pierre Leca: Die Mumien. Zeugen ägyptischer Vergangenheit, Düsseldorf/ Wien, 1982
  • Renate Germer et al.: Das Geheimnis der Mumien. Ewiges Leben am Nil; Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin, Ausstellungskatalog, München- New York 1998
  • Wilfried Seipel et al: Mumien aus dem Alten Ägypten, Kunsthistorisches Museum Wien, 1998
  • Manuela Laubenberger: Bildnisse aus dem Wüstensand. Zum Phänomen der Mumienportraits im römischen Ägypten, in: Bilder aus dem Wüstensand; Mumienportraits aus dem Ägyptischen Muse-um Kairo, Kunsthistorisches Museum Wien, Ausstellungskatalog, 1999; S. 47-57
  • Ingrid Blom- Böer: Zusammensetzung altägyptischer Farbpigmente und ihre Herkunftslagerstätten in Zeit und Raum, in: Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden te Leiden, 74, 1994, S. 57-83
  • Thomas Brachert: Lexikon historischer Maltechniken, Veröffentlichung des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung im Germanischen Nationalmuseum 5, München 2001
  • Gillian Vogelsang-Eastwood: Pharaonic Egyptian clothing, Studies in textile and costume history, Vol. 2, Leiden/ New York/ Köln, 1993
  • H. Mark: Technologie der Textilfasern. Physik und Chemie der Cellulose, Bd. 1, Teil 1, Berlin 1932
  • Agnes Tímár- Balázsy/ Dinah Eastop: Chemical Principles of Textile Conservation, Oxford 1998
  • Anton Lucas: Ancient Egyptian materials and industries, London 1962, S. 66
9 Anmerkungen [-] 9 Anmerkungen [+]
  1. Seemann 1999, S. 13
  2. vgl. Leca 1982, S. 16; Germer 1998, S. 197; Seipel 1998, S. 15
  3. Die Tatsache, daß viele dieser Einzelobjekte aus ihrem historischen Kontext gerissen wurden und heute ohne Befund vorliegen, ist eine Folgeerscheinung der Aegyptomania und auf mangelnde Dokumentation früherer Grabungen zurückzuführen. Ab dem 16. Jh. bis zu Beginn des 20. Jahr-hunderts wurden zig tausend ägyptische Mumien ohne wissenschaftlichen Anspruch begierig und neugierig ausgewickelt. Überreste der ausgewickelten Mumien aus Raubgrabungen und fürstlichen Sammlungen (Kouriositätenkabinette) sind deshalb schwer zu datieren und zu identifizieren. Vgl. Leca 1985, S. 15-18, 245, 248; Germer 1998, S. 75, 96, 197; Laubenberger 1998, S. 47
  4. Robert James Forbes, Studies in ancient technology, Leiden: Brill, 1965, 214 Table XIX, zit. nach: Blom- Böer 1994, S. 82, Anm. 194. Forbes u.a. vermuten, daß sich das ägyptische Farbwort djdj auf Bleiglätte bezieht; Bleiglätte von der 5. Dynastie bis zur Römischen Zeit als Malpigment Ver-wendung fand.
  5. Brachert 2001, S. 163
  6. Freundliche mündliche Mitteilung; Dr. Hannelore Kischkewitz, Ägyptologin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Berlin
  7. Freundliche mündliche Mitteilung, Dr. Renate Germer, Ägyptologin, Universität Hamburg
  8. Vogelsang- Eastwood 1993, Rolled and whipped hem (Rollsaum im Überwendlichstich); S. XX; Beispiele für Nähte und Säume an ägyptischer Kleidung: S. 152, Tunica, Fig. 8:15, Tunica, S. 135, Fig. 8: 2; Dress, S. 120, Fig. 7:20; Lendenschurze, S. 12, Abb. 21
  9. Leca 1982, S. 99-100; Germer 1998, S. 64-69
  10. Mark 1932, S. 96-97; vgl. Trobas 1987, S. 84-87
  11. Freundliche mündliche Mitteilung, Pippa Cruickshank, Restauratorin, British Museum London; vgl. a. Cruickshank, Pippa/ Morgan, Helen: The conservation of the shroud of resti – an 18th dynasty, linen Book of the Dead, in: Conservation in Ancient Egyptian Collections, London 1995, S. 1-11
  12. Christoph Waller: Materialien und Geräte zur Klimatisierung von Vitrinen und Depotschränken, http://www.cwaller.de/teil2.htm;16.06.2001
  13. Die Kriechfreudigkeit einiger Salze hängt von den sie umgebenen Materialien ab, weshalb Chris-toph Waller Polypropylen- Kunststoffplatten als Baumaterial empfiehlt (s. Anm. 12).
  14. Timár- Balázsy 1998, S. 16
  15. Freundliche mündliche Mitteilung, Prof. Dr. Kohlmann, FH für Technik und Wirtschaft (FHTW) Berlin, Studiengang Umweltverfahrenstechnik
  16. Parlasca 1999, S. 152 ff.
  17. Barbara Borg: Mumienportraits, DAI- Mainz 1996, S. 129
  18. Freundliche mündliche Mitteilung, Dr. rer. nat. A. Burmester, Leiter der naturwissenschaftlichen Abt., Doerner- Institut München; vgl. a.
  19. Grüneberg, Katja, Die dekorierten und beschrifteten Stoffe des Ägyptischen Museums Berlin, unpublizierte Magisterarbeit, Humboldt-Universität Berlin, Berlin 2001
10 Abbildungsnachweis [-] 10 Abbildungsnachweis [+]

Abb. 13: Edda Bresciani: Il volto di osiri – Tele funerarie dipinte nell´Egitto Romano (The face of osiris-painted funary shrouds in Roman Egypt); Italien, 1996, S. 23; Abb. 16, Raleigh, N.C. Museum, Inv. Nr. 571495
Abb. 14: Katja Grüneberg: Die dekorierten und beschrifteten Stoffe des Ägyptischen Museums Berlin, unpublizierte Magisterarbeit, Humboldt-Universität Berlin, Berlin 2001, Mumientuchfragment einer männlichen Mumie, Inv.-Nr. 12427, Ägyptisches Museum Berlin, Kat. 19/1

 
Zum Seitenanfang